Meditationen unter freiem Himmel

 

                                                            für Rolf Boysen

 

„Beobachten, das ist immerhin

schon etwas, aber das reicht nicht aus „

 Jean-Henri Fabre

 

   Meditazioni a cielo aperto

 

                                           per Rolf Boysen

 

 

«Osservare,  è pur sempre

  qualcosa, però non basta».                                                                       

  Jean-Henri Fabre

 

 

 

 

    Meditationen unter freiem Himmel - Meditazioni a cielo aperto

 

 

1, Seite 9 – 1, p.9

 

 

Die Helligkeit ist endlich bereit,

sich dem Dunkel zu öffnen,

wie eine höhere Mechanik es befiehlt.

Vom Wald her höre ich

das trockene Husten der Rehe,

in der kupfernen Dämmerung

lösen die letzten Bindungen sich auf.

Es gibt keine Regeln,

an die man sich halten darf,

das ist die letzte Botschaft

aus der rasenden Zeit.

Über mir, im kindlichen Himmel,

steht ein Hubschrauber,

Armee oder Archäologie, das ist jetzt egal.

Früher haben hier Menschen

gesiedelt; manchmal treten sie

noch heute im Dunkel aus dem Wald

und klappern mit ihren alten Knochen.

Der Boden hat Hitze gehortet.

Die Erinnerung geht in Sprüngen,

damit ihre Füße nicht verbrennen.

 

 

Il chiarore è pronto infine

ad aprirsi all’oscurità,

come impone un meccanismo superiore.

Dal bosco odo

la secca tosse dei caprioli,

nel crepuscolo di rame

si sciolgono gli ultimi legami.

Non esistono regole

alle quali attenersi,

ecco il messaggio

dai tempi impazziti.

Sopra di me, nel cielo infantile,

c’è un elicottero,

esercito oppure archeologia, questo ora è indifferente.

Una volta vivevano qui

gli essere umani; a volte nel buio

escono ancora oggi dal bosco

e fanno crepitare le vecchie ossa.

Il suolo ha accumulato calore.

La memoria procede a salti

per non bruciarsi i piedi.

 

 

 

 

 

 

 

2, p. 10 – 2, Seite 10

 

 

Wenn der Mohn die Farbe verliert

und der Lavendel ins Ungewisse greift,

wenn der Geheimbund der Maulwürfe tagt

und die ehrwürdige Wissenschaft vom Widerspruch

unserem Bedürfnis nach Ruhe weichen muß,

wenn dem Engel, der das Tor bewacht,

das rostige Schwert aus der Hand gleitet,

wenn der Chor der Bienen den Garten verläßt,

um noch rechtzeitig zur Probe zu kommen,

wenn die großen Aufklärer in meinem Buch

ihre Bärte ablegen und zu Misanthropen werden,

die das Licht von Glühwürmchen erhoffen,

dann schaue ich, zu müde, um über die Natur

des Bösen weiter nachzudenken,

den Fledermäusen zu, die der Nacht,

die sich schamhaft wehrt, die Hand lesen,

ohne etwas über ihre Zukunft zu verraten.

 

 

Quando il papavero scolorisce

e la lavanda tende all’indefinito,

quando la società segreta delle talpe si riunisce

e l’onorevole scienza della contraddizione

deve cedere al nostro bisogno di quiete,

quando all’angelo, di guardia alla porta,

la spada arrugginita scivola di mano,

quando il coro delle api lascia il giardino

per arrivare ancora in tempo alle prove,

quando nel mio libro i grandi illuministi

si tolgono le barbe e diventano misantropi

che sperano nella luce delle lucciole,

troppo stanco per meditare oltre

sulla natura del Male, resto allora

a guardare i pipistrelli, che alla notte,

che pudica resiste, leggono la mano,

senza nulla tradire del suo futuro.

 

 

3, Seite 11 – 3, p. 11

 

 

Über mir, in der breithüftigen Krone,

quasseln die Vögel. Eine Geschichte,

die mir bekannt vorkommt, Homer,

bis an die Zähne bewaffnet

mit hellen Lauten. Zu Hause wird

ein Haushaltsloch gestopft,

andere schließen eine Gesetzeslücke

in der Zeit, die mein Leben war.

Es riecht nach frisch geschlagenem Holz.

Und Holz, wie du weißt,

arbeitet auch nach dem Fällen.

 

 

Sopra di me, nella chioma dai fianchi larghi,

cicalano gli uccelli. Una storia

che mi pare nota, Omero,

fino ai denti armato

di sonorità. A casa si

tappa un buco di bilancio,

altri riempiono una lacuna di legge

nel tempo che è stato la mia vita.

C’è odore di legna appena tagliata.

E la legna, come sai,

lavora anche dopo l’abbattimento.

 

 

4, Seite 12 – 4, p. 12

 

 

Unten, am Fuß des Hügels, der mein Haus ist,

gehen die alten Wege des Brots und der Grütze

mitten durchs Feld. Sonnenblumen, Soja, Weizen,

und an den Rändern Rosenstöcke, am Kreuz,

damit die Wallfahrer auf Schleichwegen

zurückfinden aus der Galeere des Glaubens.

Hier soll sich nichts ereignen, hier ist es:

Wolken liegen am Horizont wie verlorenes Gepäck,

der Ölbaum lehnt schwer auf der Mauer,

vom Steinbruch belagert, der an Akanthus erinnert,

und überall wird das Ende der Klagen geübt.

Mittags ist die Welt leer. Sie spricht nicht.

Sie will nichts mehr sagen. Sie bereitet sich

stumm auf ihre Verwandlung vor.

 

In basso, ai piedi della collina che è la mia dimora,

i vecchi sentieri del pane e del tritello corrono

in mezzo al campo. Girasoli, soia, frumento,

e, ai margini, rosai davanti alla croce,

affinché per vie traverse i pellegrini

ritrovino la strada dalla galera della fede.

Non occorre che accada nulla, è già qui:

all’orizzonte nuvole posate come un bagaglio smarrito,

pesante l’olivo addossato al muro,

stretto dalla pietraia, che ricorda l’acanto,

e ovunque si esercita la fine dei lamenti.

A mezzogiorno il mondo è vuoto. Non parla.

Non vuole più dire nulla. Muto

si prepara al cambiamento.

 

 

5, Seite 13 – 5, p. 13

 

 

Eben noch standen wir lachend  

 

unter den Kandelabern der Tannen

 

und bewunderten den silbrigen Frost,

 

der die Äste bekleidete, da fiel

 

plötzlich Nebel. Immer unvollständiger

 

war nun der Himmel, die Bilder

 

schmolzen vor unseren Augen. Wie Rauch

 

war die Atmosphäre, undurchdringlich

 

und weich. Wir blieben angewurzelt

 

stehen und warteten auf das Urteil.

 

 

Poco fa ridendo stavamo ancora

sotto i candelabri degli abeti

ad ammirare il gelido argento

che rivestiva i rami, a un tratto

è calata la nebbia. Sempre meno integro

era ora il cielo, le immagini

si dissolvevano davanti ai nostri occhi. Un fumo

sembrava l’atmosfera, impenetrabile

e soffice. Come radicati ci fermammo

in attesa del verdetto.

 

 

6, Seite 14 – 6, p. 14

 

 

Das tägliche Spiel der Turmfalken,

ein Bild, das sich aufbaut und löscht

im Luftraum zwischen den Wassern,

das sich aufbaut und löscht.

Auch sie umarmen, umgarnen

mit dem eigennützigen Faden der Flugbahn

eine immer enteilende Welt.

Augustinus lacht.

Ich lebe in drei Welten: in dieser hier,

im Schatten unter dem Maulbeerbaum;

in der Welt meiner Gedanken

(it was the world in which I walked)

und in der Welt der Bücher, in der ich lese,

was geschah, als ich, auf kurze Zeit,

das Leben eines Vogels führte.

 

 

Il quotidiano gioco dei gheppi,

un’immagine che si leva e scompare

nello spazio aereo fra le acque,

si leva e scompare.

Abbracciare, irretire anche loro

con l’egoistico filo della linea di voto

un mondo sempre in fuga.

Agostino ride.

Io vivo in tre mondi: in questo,

all’ ombra del gelso;

nel mondo dei miei pensieri

(it was the world in which I walked)

e nel mondo dei libri, nel quale leggo

ciò che è accaduto quando, per breve tempo,

ho vissuto la vita di un uccello.

 

 

7, Seite 15 – 7, p. 15

 

 

Hundertmal übt der Pirol

das Unglück der Meisterschaft.

Dann stürzt er eilig davon,

ein gelber Riß im Universum,

der nie mehr verheilt.

 

 

Cento volte esercita il rigogolo

la sventura della perfezione.

Poi veloce si precipita via,

nel cosmo una frattura gialla

che mai più si rimargina.

 

 

 

8, Seite 16 – 8, p. 16

 

 

 

Die Natur, ich bitte um Nachsicht,

schreibt ein Gedicht: sie reimt

dem Hasen eine zitternde Angst

ins Fell und schenkt ihm schließlich

eine Nacht als Versteck. Das Wetter tobt.

Der Regen redet irr, Blitze sorgen

für perfektes Enjambement.

Das Gedicht kann sich sehen lassen.

Es wird gerne eingeladen

zu altmodischen Sammlungen oder Anthologien.

Wenn gerade kein anderer das Wort ergreift

oder an sich reißt, spricht es sich leise aus.

Es benutzt einfache Worte: Hase,

Eule, Knöterich, Gewitter, Ulme, ich.

(Aber auch die Natur als Dichterin

mußte die Erfahrung machen,

daß ihre einfachen Worte ein eigenes Leben

führten und oft sagten, was ihr, der Natur,

gegen den Strich ging.)

 

 

La natura, chiedo venia,

scrive una poesia: alla lepre

mette in rima sul mantello

un trepido timore e infine le dona

una notte come nascondiglio. Il temporale infuria.

La pioggia dice cose confuse, i lampi provvedono

al perfetto enjambement.

La poesia può mostrarsi.

Volentieri la invitano

per raccolte o antologie fuori moda.

Se proprio nessun altro toglie o strappa

la parola, lei si esprime sottovoce.

Usa parole semplici: lepre,

civetta, bistorta, temporale, olmo, io.

(Ma anche la poetessa natura

ha dovuto sperimentare

che le sue semplici parole avevano

una vita propria e spesso dicevano cose che a lei, la natura,

non andavano a genio).

 

 

 

9, Seite 17 – 9, p. 17

 

 

Natürlich kann man sich

Den Schöpfer des Universums

Als einen Gaukler denken.

Alles verruchtes Spiel,

Ausdruck beginnender Müdigkeit.

Nur manchmal, wenn wir

Am Abend, einer Gewohnheit folgend,

Uns auf der Wiese versammeln,

Um die Nacht still zu begrüßen,

Sind wir vor Staunen sprachlos:

Um uns zu foppen, zeigt er uns

Proben seines großen Talents.

 

 

Naturalmente si può immaginare

il Creatore dell’universo

come un giocoliere.

Tutto come un gioco empio,

espressione di una iniziale stanchezza.

Ma a volte, quando,

seguendo un’abitudine, alla sera

ci raccogliamo sul prato

per salutare in silenzio la notte,

lo stupore ci rende muti:

per beffarsi di noi lui ci dà

prove del suo grande talento.

 

 

10, Seite 18 – 10, p. 18

 

 

Große schwarze Vögel

besetzen seit Tagen das Land.

Sie nehmen uns, ungerührt,

das Wort aus dem Mund.

Was wollten wir erzählen?

Davon, wer wir sein wollten,

bevor Mord und Totschlag

unsere Nachbarn wurden,

einer links, einer rechts.

Jetzt verlieren wir wortlos

die Zeit. Die Vögel, ungerührt,

reden sich ein in ihre

schwarze Welt.

 

 

Grandi uccelli neri

Popolano da giorni la campagna.

Impassibili ci tolgono

la parola di bocca.

Cosa volevamo raccontare?

Di chi avremmo voluto essere

prima che morte e omicidio

diventassero nostri vicini,

uno a sinistra, uno a destra.

Senza parole perdiamo ora

il tempo. Impassibili gli uccelli

si convincono a rientrate nel loro

nero universo.

 

 

11, Seite 19 – 11, p. 19

 

 

Im Teich die reglosen Molche,

von Wasserspinnen umkreist,

sie ersetzen die Uhr. Eine Maus

ist ertrunken. Wespen bilden

eine Jakobsleiter, damit ihre Seele

aufsteigen kann. Einen Segen,

heißt es, kann man nicht widerrufen.

Aber was gibt uns das Recht,

fast alles zu verraten, um uns

zu retten. Ach, wie ich die Nacht

herbeisehne, die gute Nacht des Denkens,

wenn die Geschichte schläft.

 

Nello stagno immobili i tritoni,

attorniati dai ragni d’acqua,

fanno le veci dell’orologio. Un topo

è annegato. Le vespe formano

una scala di Giacobbe, affinché la sua anima

possa salire. Una benedizione,

si dice non si può revocare.

Ma cosa ci da il diritto

di tradire quasi tutto, pur

di salvarci. Ah, come bramerei

la notte, la buona notte del pensiero,

quando la Storia dorme.

 

 

12, Seite 20 – 12, p. 20

 

 

Naturstück

 

Über dem Horizont steht ein Vogel.

Er sieht den Hasen, der über die Wiese fliegt,

die Zeit macht sich aus dem Staub.

Eine Maus im unsterblichen Unkraut.

Jede Ameise sieht er, die bewegliche Summe

Der Schlaflosigkeit. Er sieht kleinere Vögel,

deren Geschrei die Mauern aufweckt.

Er sieht auch uns, feine aufrechte Tiere,

denen die Wahrheit am Herzen liegt.

Er sieht, wie wir den Mund aufreißen.

Kann keine Rede mehr sein.

 

 

Una scena in natura

 

Sopra l’orizzonte si ferma un uccello.

Vede la lepre volare sul prato,

il tempo si defila.

Un topo in mezzo a indistruttibili erbacce.

Vede ogni formica, mobile sintesi

Dell’insonnia. Vede uccelli più piccoli,

le cui grida risveglieranno i muri.

Vede anche noi, leggiadri animali eretti

che hanno a cuore la verità.

Vede che spalanchiamo la bocca.

Non possono più esserci discorsi.

 

 

 

 

 

 

 

13, Seite 21 – 13, p. 21

 

 

Der Sturm wirft uns die Kirschen

Ins Gras, ihre unsagbare Süße.

Am Morgen ein Tag aus Schiefer,

gestuftes Grau, das die Haut der Dinge

in einem anderen Licht zeigt.

Zeit, hinüberzutreten in die andere Zeit.

Mittags im Hof Schattenkino,

meine Faust spielt mit.

Und die Sperlinge, geflügelte Worte,

bereiten fröhlich die Totenrede vor

auf den sich entziehenden Sommer.

Wäre da nicht, am frühen Abend,

die eintönige Liturgie des Regens,

man könnte den Glauben verlieren.

 

 

La tempesta ci lancia le ciliegie

nell’erba la loro indicibile dolcezza.

Al mattino una giornata di ardesia,

un grigio sfumato che mostra

in una luce diversa la scorza delle cose.

Tempo di entrare nell’altro tempo.

A mezzogiorno nel cortile di un cinema di ombre,

il mio pugno fa la sua parte.

E i passeri, parole alate,

allegri preparano il discorso funebre

per l’estate che si ritira.

Se all’imbrunire non ci fosse

la monotona liturgia della pioggia,

ci sarebbe da perdere la fede.

 

 

 

14, Seite 22 – 14, p.22

 

 

Tief fliegen die Schwalben. Oben,

wo die Falken den perfekten Kreis üben,

gibt es nichts mehr zu holen.

Ein Kind sagt: Ich möchte Gott

einmal klein sehen, und hält

zwei Finger übereinander.

 

 

Basse volano le rondini. In alto,

dove i falchi si esercitano nel cerchio perfetto,

non c’è più nulla da beccare.

Un bambino dice: per una volta

vorrei vedere Dio rimpicciolito, e tiene

due dita sovrapposte.

 

 

15, Seite 23 – 15, p. 23

 

 

Wir lernen nichts mehr hinzu,

das war das Ergebnis eines Kongresses

auf der anderen Seite der Welt.

Keiner wußte, ob er traurig sein sollte,

weil es jeder geahnt hat.

Schwalben, dünn wie Kompaßnadeln,

bleiben tagelang in der Luft.

Uns mißlingt alles, fast alles.

Wir können nicht verhindern, daß der Fluß

das Licht stromabwärts führt,

und nachts prallen Insekten auf Auge und Mund,

wenn wir fassungslos in der Nacht stehen,

am anderen Ende des Wachens.

Gottlob haben wir nur eine schwache Ahnung

von dem, was wir sind, das wäre das Ende.

 

 

Non impariamo più nulla di nuovo,

questo il risultato di un congresso

all’altro capo del mondo.

Nessuno sapeva se essere triste,

perché tutti l’avevano intuito.

Sottili come l’ago di una bussola, le rondini

restano in aria per giorni interi.

Noi falliamo in tutto, in quasi tutto.

Non sappiamo impedire che il fiume

porti a valle la luce,

e se smarriti ci fermiamo nella notte,

all’altro estremo della veglia,

gli insetti ci rimbalzano di notte sugli occhi e sulla bocca.

Per fortuna intuiamo solo debolmente

ciò che siamo, perché sarebbe la fine.

 

 

 

 

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